Kein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters gem. § 166 Abs. 1 InsO analog hinsichtlich sonstiger Rechte (hier: Markenrechte)
19.06.2023 IX ZR 145/21
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 27.10.2022 zum Aktenzeichen IX ZR 145/21 die in der Literatur bisher umstrittene Frage einer analogen Anwendung des § 166 InsO auf die Verwertung sonstiger Rechte entschieden und diese im Ergebnis abgelehnt.
Verkürzt hatte im konkreten Fall der Insolvenzverwalter die Markenrechte der insolventen Gesellschaft veräußert, obwohl diese Rechte vor Verfahrenseinleitung zur Besicherung eines gewährten Darlehens an die Darlehensgeberin abgetreten worden waren. Die Vorinstanzen hatten in analoger Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter das Verwer-tungsrecht hinsichtlich der in Rede stehenden Markenrechte zuerkannt.
Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung ausführlich mit den Argumenten für und gegen die analoge Anwendung der Vorschriften über die Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten auf sonstige Rechte beschäftigt.
Nach einer (bisher) in der Literatur vertretenen Auffassung, der immerhin namhafte Vertreter wie Sinz, Flöther, Brinkmann in Uhlenbruck, Scholz im Hamburger Kommentar und Hirte angehören, soll die Regelung des § 166 InsO analog auch auf Rechte anwendbar sein. Diese Auffassung nimmt unter Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte eine Regelungslücke an, welche eine analoge Anwendung ermöglicht. Weiteres zentrales Argument ist die Vermeidung eines „Auseinanderreißens“ des Unternehmens im Interesse der Wahrung von Sanierungs-chancen und der Ermöglichung einer gemeinsamen wirtschaftlich günstigeren Verwertung zusammengehöriger Gegenstände.
Der BGH schloss sich hingegen der Gegenauffassung an und begründete dies sehr ausführlich damit, dass die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vorlägen, da das Gesetz keine planwidrige Regelungslücke aufweise. Zum Ersten ergäbe sich dies aus dem Wortlaut. So seien die in den Regelungen der §§ 166 und 173 InsO sowie auch der Abschnittsüberschrift verwendeten Begriffe „Sache“ und „Forderung“ im gesamten Zivilrecht fest bestimmt und Forderungen eben keine sonstigen Rechte. Zum Zweiten lasse sich der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen, dass der Gesetzgeber sehr wohl zwischen Forderungen und sonstigen Rechten unterschieden und auch die jeweiligen Konsequenzen gesehen habe. Noch im ers-ten Diskussionsentwurf sollten sämtliche sicherungsabgetretenen Rechte ohne weiteres der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterfallen. Im Folgenden habe sich der Rechtsausschuss jedoch bewusst für immer deutlichere Einschränkungen entschieden. An dieser Stelle geht der BGH in die Tiefe und führt über mehrere Seiten die Gesetzgebungsge-schichte aus. Er kommt hierbei zu dem Schluss, dass § 173 InsO, welcher dem absonderungsberechtigten Gläubiger das Recht zur Verwertung gibt, soweit der Insolvenzverwalter nicht zur Verwertung berechtigt ist, nur eine klarstellende Bedeutung zukommt. Die grundsätzliche Verwertungsbefugnis des Sicherungsnehmers folge bereits aus dem materiellen Recht. Nicht das Verwertungsrecht des Sicherungsnehmers bedürfe daher der besonderen Rechtfertigung und gesetzlichen Anordnung in der Insolvenzordnung, sondern dasjenige des Insolvenzverwalters. § 173 Abs. 1 InsO sei unter Berücksichtigung dieses Umstandes dahin zu verstehen, dass der Gläubiger insgesamt zur Verwertung berechtigt bleibe, soweit der Insolvenzverwalter nicht ausnahmsweise ein Verwertungsrecht hat.
Zum Dritten würden auch teleologische Gesichtspunkte eine Analogie nicht rechtfertigen. Zwar sei der Gegenmeinung zuzugestehen, dass durch eine analoge Anwendung die wirt-schaftliche Einheit des schuldnerischen Unternehmens erhalten bliebe und dadurch Sanierungschancen erhalten oder zumindest eine wirtschaftlich günstigere Verwertung im Interesse der Gläubigergesamtheit erreicht würde. Jedoch sieht der BGH eine Unsicherheit bei der Zuordnung der sonstigen Rechte zur wirtschaftlichen Einheit des schuldnerischen Unternehmens. Diese bliebe, da ein objektiver Anknüpfungspunkt wie die Besitzstellung des Insolvenzverwalters bei beweglichen Sachen, fehle und daher die Zuordnung weitgehend den Beteiligten überlassen bliebe. Wegen dieser Unsicherheit der Zuordnung stehe einer analogen Anwendung schließlich noch der mit einer zwangsweisen Verwertung verbundene Eingriff in die Eigentumsrechte des Sicherungsnehmers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz entgegen. Der absonderungsberechtigte Gläubiger habe nach materiellem Recht eine Verwertungsbefugnis an dem ihm zur Sicherheit übertragen Recht, welche ihm die Insolvenzordnung nur in bestimmten und festgelegten Fällen entzieht und entziehen könne. Alleine die aus Sicht des Insolvenzrechts für die Bejahung eines umfassenden Verwertungsrechts des Insolvenzverwalters sprechende Interessenlage könne eine Analogie gegen die grundrechtlich geschützte Position und den sich aus dem Gesetzgebungsverfahrens und dem Wortlaut ergebenden Willen des Gesetzgebers jedoch nicht rechtfertigen.
Diese Entscheidung ist einerseits begrüßenswert, als sie einen weiteren Streitpunkt beilegt und ein weiteres Stück Sicherheit in die Verwertung durch den Insolvenzverwalter bringt. Andererseits wird diese Entscheidung in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Sanierung von Unternehmen führen. Durch die unterschiedliche Verwertungsberechtigung der Assets eines Unternehmens wird die wirtschaftliche Einheit auseinandergerissen. „Das Unternehmen“ besteht eben nicht mehr nur aus der Betriebs- und Geschäftsausstattung und den Vorräten (also den Produktionsmitteln), wie dies früher einmal war. Immer mehr bemisst sich der Wert eines Unternehmens auch an seinem Namen, der oftmals geschützt ist, und seinen sonstigen immateriellen Vermögenswerten, wie eben Markenrechten. Wie soll ein Insolvenzverwalter also zukünftig ein Unternehmen als Ganzes veräußern und damit erhalten (Stichwort: übertragende Sanierung), wenn er wesentliche Bestandteile gerade nicht verwerten darf? Der Hinweis des BGH (Rz. 25) doch Nutzungs- und Verwertungsvereinbarungen mit dem Sicherungsnehmer zu treffen, hilft da nicht wirklich. Aber die Entscheidung gibt dem Sicherungsnehmer natürlich eine bessere Verhandlungsposition für eine solche Vereinbarung. Mit der Frage des Verwertungsrecht und der Verwertungsmöglichkeit kann sich das Gelingen einer Sanierung entscheiden. Die Veräußerung eines Unternehmens im Ganzen wird also zukünftig mit erheblich mehr Arbeit für die Verhandlung mit Sicherungsnehmern ver-bunden sein und natürlich auch erheblich teurer im Hinblick auf deren Abfindung werden. Auch besteht grds. Die Gefahr des Missbrauchs, da ein querulantischer Geschäftsinhaber / Verfügungsberechtigter entscheidende immaterielle Rechte zur Sicherheit auf Dritte übertra-gen kann, um so zu versuchen, eine Veräußerung im Ganzen zu verhindern.
Dem BGH ist zuzugestehen, dass er überzeugend herausarbeitet, warum eine analoge An-wendung rechtlich eben nicht vom Wortlaut und vom Willen des Gesetzgebers gedeckt und auch im Lichte der Grundrechte nicht möglich ist. Aber dann ist eben hier der Gesetzgeber erneut gefragt. Mit der Einführung des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes sowie der Weitergeltung des COVInsAG (COVID19-Insolvenzaussetzungsgesetz) unter dem neuen Titel SanInsKG (Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen) bringt der Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck, die Sanierung und den Erhalt von Unternehmen zu fördern und diese gerade nicht zu zerschlagen. Die jetzige Rechtsprechung läuft diesem Ziel aber Zuwider, so dass hier an der gesetzlichen Regelung im Hinblick auf das höhere Ziel der Sanierung Korrekturbedarf besteht.
Kommentar
Kein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters gem. § 166 Abs. 1 InsO analog hinsichtlich sonstiger Rechte (hier: Markenrechte)
19.06.2023 IX ZR 145/21
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 27.10.2022 zum Aktenzeichen IX ZR 145/21 die in der Literatur bisher umstrittene Frage einer analogen Anwendung des § 166 InsO auf die Verwertung sonstiger Rechte entschieden und diese im Ergebnis abgelehnt.
Verkürzt hatte im konkreten Fall der Insolvenzverwalter die Markenrechte der insolventen Gesellschaft veräußert, obwohl diese Rechte vor Verfahrenseinleitung zur Besicherung eines gewährten Darlehens an die Darlehensgeberin abgetreten worden waren. Die Vorinstanzen hatten in analoger Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter das Verwer-tungsrecht hinsichtlich der in Rede stehenden Markenrechte zuerkannt.
Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung ausführlich mit den Argumenten für und gegen die analoge Anwendung der Vorschriften über die Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten auf sonstige Rechte beschäftigt.
Nach einer (bisher) in der Literatur vertretenen Auffassung, der immerhin namhafte Vertreter wie Sinz, Flöther, Brinkmann in Uhlenbruck, Scholz im Hamburger Kommentar und Hirte angehören, soll die Regelung des § 166 InsO analog auch auf Rechte anwendbar sein. Diese Auffassung nimmt unter Verweis auf die Gesetzgebungsgeschichte eine Regelungslücke an, welche eine analoge Anwendung ermöglicht. Weiteres zentrales Argument ist die Vermeidung eines „Auseinanderreißens“ des Unternehmens im Interesse der Wahrung von Sanierungs-chancen und der Ermöglichung einer gemeinsamen wirtschaftlich günstigeren Verwertung zusammengehöriger Gegenstände.
Der BGH schloss sich hingegen der Gegenauffassung an und begründete dies sehr ausführlich damit, dass die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vorlägen, da das Gesetz keine planwidrige Regelungslücke aufweise. Zum Ersten ergäbe sich dies aus dem Wortlaut. So seien die in den Regelungen der §§ 166 und 173 InsO sowie auch der Abschnittsüberschrift verwendeten Begriffe „Sache“ und „Forderung“ im gesamten Zivilrecht fest bestimmt und Forderungen eben keine sonstigen Rechte. Zum Zweiten lasse sich der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen, dass der Gesetzgeber sehr wohl zwischen Forderungen und sonstigen Rechten unterschieden und auch die jeweiligen Konsequenzen gesehen habe. Noch im ers-ten Diskussionsentwurf sollten sämtliche sicherungsabgetretenen Rechte ohne weiteres der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterfallen. Im Folgenden habe sich der Rechtsausschuss jedoch bewusst für immer deutlichere Einschränkungen entschieden. An dieser Stelle geht der BGH in die Tiefe und führt über mehrere Seiten die Gesetzgebungsge-schichte aus. Er kommt hierbei zu dem Schluss, dass § 173 InsO, welcher dem absonderungsberechtigten Gläubiger das Recht zur Verwertung gibt, soweit der Insolvenzverwalter nicht zur Verwertung berechtigt ist, nur eine klarstellende Bedeutung zukommt. Die grundsätzliche Verwertungsbefugnis des Sicherungsnehmers folge bereits aus dem materiellen Recht. Nicht das Verwertungsrecht des Sicherungsnehmers bedürfe daher der besonderen Rechtfertigung und gesetzlichen Anordnung in der Insolvenzordnung, sondern dasjenige des Insolvenzverwalters. § 173 Abs. 1 InsO sei unter Berücksichtigung dieses Umstandes dahin zu verstehen, dass der Gläubiger insgesamt zur Verwertung berechtigt bleibe, soweit der Insolvenzverwalter nicht ausnahmsweise ein Verwertungsrecht hat.
Zum Dritten würden auch teleologische Gesichtspunkte eine Analogie nicht rechtfertigen. Zwar sei der Gegenmeinung zuzugestehen, dass durch eine analoge Anwendung die wirt-schaftliche Einheit des schuldnerischen Unternehmens erhalten bliebe und dadurch Sanierungschancen erhalten oder zumindest eine wirtschaftlich günstigere Verwertung im Interesse der Gläubigergesamtheit erreicht würde. Jedoch sieht der BGH eine Unsicherheit bei der Zuordnung der sonstigen Rechte zur wirtschaftlichen Einheit des schuldnerischen Unternehmens. Diese bliebe, da ein objektiver Anknüpfungspunkt wie die Besitzstellung des Insolvenzverwalters bei beweglichen Sachen, fehle und daher die Zuordnung weitgehend den Beteiligten überlassen bliebe. Wegen dieser Unsicherheit der Zuordnung stehe einer analogen Anwendung schließlich noch der mit einer zwangsweisen Verwertung verbundene Eingriff in die Eigentumsrechte des Sicherungsnehmers aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz entgegen. Der absonderungsberechtigte Gläubiger habe nach materiellem Recht eine Verwertungsbefugnis an dem ihm zur Sicherheit übertragen Recht, welche ihm die Insolvenzordnung nur in bestimmten und festgelegten Fällen entzieht und entziehen könne. Alleine die aus Sicht des Insolvenzrechts für die Bejahung eines umfassenden Verwertungsrechts des Insolvenzverwalters sprechende Interessenlage könne eine Analogie gegen die grundrechtlich geschützte Position und den sich aus dem Gesetzgebungsverfahrens und dem Wortlaut ergebenden Willen des Gesetzgebers jedoch nicht rechtfertigen.
Diese Entscheidung ist einerseits begrüßenswert, als sie einen weiteren Streitpunkt beilegt und ein weiteres Stück Sicherheit in die Verwertung durch den Insolvenzverwalter bringt. Andererseits wird diese Entscheidung in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Sanierung von Unternehmen führen. Durch die unterschiedliche Verwertungsberechtigung der Assets eines Unternehmens wird die wirtschaftliche Einheit auseinandergerissen. „Das Unternehmen“ besteht eben nicht mehr nur aus der Betriebs- und Geschäftsausstattung und den Vorräten (also den Produktionsmitteln), wie dies früher einmal war. Immer mehr bemisst sich der Wert eines Unternehmens auch an seinem Namen, der oftmals geschützt ist, und seinen sonstigen immateriellen Vermögenswerten, wie eben Markenrechten. Wie soll ein Insolvenzverwalter also zukünftig ein Unternehmen als Ganzes veräußern und damit erhalten (Stichwort: übertragende Sanierung), wenn er wesentliche Bestandteile gerade nicht verwerten darf? Der Hinweis des BGH (Rz. 25) doch Nutzungs- und Verwertungsvereinbarungen mit dem Sicherungsnehmer zu treffen, hilft da nicht wirklich. Aber die Entscheidung gibt dem Sicherungsnehmer natürlich eine bessere Verhandlungsposition für eine solche Vereinbarung. Mit der Frage des Verwertungsrecht und der Verwertungsmöglichkeit kann sich das Gelingen einer Sanierung entscheiden. Die Veräußerung eines Unternehmens im Ganzen wird also zukünftig mit erheblich mehr Arbeit für die Verhandlung mit Sicherungsnehmern ver-bunden sein und natürlich auch erheblich teurer im Hinblick auf deren Abfindung werden. Auch besteht grds. Die Gefahr des Missbrauchs, da ein querulantischer Geschäftsinhaber / Verfügungsberechtigter entscheidende immaterielle Rechte zur Sicherheit auf Dritte übertra-gen kann, um so zu versuchen, eine Veräußerung im Ganzen zu verhindern.
Dem BGH ist zuzugestehen, dass er überzeugend herausarbeitet, warum eine analoge An-wendung rechtlich eben nicht vom Wortlaut und vom Willen des Gesetzgebers gedeckt und auch im Lichte der Grundrechte nicht möglich ist. Aber dann ist eben hier der Gesetzgeber erneut gefragt. Mit der Einführung des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes sowie der Weitergeltung des COVInsAG (COVID19-Insolvenzaussetzungsgesetz) unter dem neuen Titel SanInsKG (Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen) bringt der Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck, die Sanierung und den Erhalt von Unternehmen zu fördern und diese gerade nicht zu zerschlagen. Die jetzige Rechtsprechung läuft diesem Ziel aber Zuwider, so dass hier an der gesetzlichen Regelung im Hinblick auf das höhere Ziel der Sanierung Korrekturbedarf besteht.
Julia Frank
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Wann genau muss Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit vorliegen? Der BGH hat sich mit seiner jüngsten Entscheidung gegen einen Großteil der Literaturmeinungen gestellt.