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Kommentar

Zur Abfüh­rungspf­licht nach § 295 Abs. 2 InsO aus selbst­stän­diger Tätigkeit

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 12.10.2023 zum Aktenzeichen IX ZR 162/22 die bisher offen gelassene Frage entschieden, ob ein Schuldner (natürliche Person), der aus gesundheitlichen Gründen keine abhängige Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt mehr finden kann, aber dennoch gewinnbringend eine selbstständige Tätigkeit ausübt, im Rahmen der Erwerbsobliegenheit zur Erlangung der Restschuldbefreiung Beträge an den Insolvenzverwalter abzuführen hat, als ob er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Im Ergebnis hat der BGH dies bejaht. 

Im entschiedenen Fall hatte der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse freigegeben und forderte von diesem den Betrag zur Masse, der sich als pfändbarer Betrag ergeben hätte, wenn der Schuldner eine seiner selbstständigen Tätigkeit vergleichbare Tätigkeit als Angestellter ausgeübt hätte. Allerdings war der Schuldner aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen. Daher waren beide Vorinstanzen zu dem Ergebnis gelangt, dass den Schuldner keine Erwerbsobliegenheit mehr treffe und er daher auch aus der selbstständigen Tätigkeit keine Beträge abführen müsse. 

Die rechtliche Grundlage für die generelle Abführungspflicht bildet § 35 Abs. 2 InsO in Verbindung mit § 295 Abs. 2 InsO bzw. § 295a InsO. Danach ist der selbstständig tätige Schuldner, dessen selbstständige Tätigkeit vom Insolvenzverwalter aus der Masse freigegeben worden ist (§ 35 Abs. 2 InsO), zur Abführung von Beträgen an die Masse verpflichtet, die sich als pfändbar ergeben würden, würde der Schuldner einer abhängigen Beschäftigung nachgehen. Die vorliegende Entscheidung des BGH ist noch zu § 295 Abs. 2 InsO in der bis zum 30.12.2020 geltenden Fassung ergangen. Für Insolvenzeröffnungsanträge, die nach dem 30.12.2020 gestellt worden sind, ist diese Pflicht nun in § 295a InsO normiert. Abweichend von § 295 Abs. 2 InsO aF enthält § 295a InsO zum einen in Abs. 1 ein konkretes Fälligkeitsdatum für die Zahlung, nämlich jährlich bis zum 31.01. des Folgejahres. Zum weiteren wird mit Abs. 2 dem Gericht die Aufgabe übertragen, auf Antrag des Schuldners, den abzuführenden Betrag festzulegen. Im Übrigen ist die Norm wortgleich zum alten § 295 Abs. 2 InsO, so dass die Entscheidung auch für Insolvenzverfahren Gültigkeit behält, die nach dem 30.12.2020 beantragt worden sind. 

Der Bundesgerichtshof führt in seiner Entscheidung aus, dass bereits nach den bisher ergangenen Entscheidungen, diejenigen Beträge an die Insolvenzmasse abzuführen sind, die das fiktive Nettoeinkommen aus einer angemessenen abhängigen Tätigkeit bilden. Des Weiteren sei nur eine dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit angemessen im Sinne des § 295 Abs. 2 InsO aF. Dabei komme es auf die individuelle Situation des Schuldners an, insbesondere auf seine Ausbildung und seinen beruflichen Werdegang. Auch dass ein Schuldner, der bereits das Renteneintrittsalter erreicht hat, zwar nicht mehr verpflichtet ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, er gleichwohl aber verpflichtet ist, Zahlungen aus seiner ausgeübten selbstständigen Tätigkeit an die Masse zu leisten, hatte der BGH bereits entschieden (Beschluss vom 12.04.2018 – IX ZB 60/16). Bei einem Schuldner, der aufgrund seines Gesundheitszustands und nicht seines Alters keine abhängige Beschäftigung mehr finden kann, könne aber, so nun die vorliegende Entscheidung, nichts anderes gelten. Zwar ist der BGH sich mit den Vorinstanzen einig, dass den Schuldner aufgrund seiner gesundheitlichen Erwerbsunfähigkeit keine Erwerbsobliegenheit mehr trifft. Wenn er aber überobligatorisch tätig sei, dann entspräche es der Zielrichtung des § 35 InsO, die Gläubiger an diesen Einkünften und Gewinnen teilhaben zu lassen. Allerdings müsse bei der Höhe des sich nach dem fiktiven Nettoeinkommen zu bestimmenden Höhe des Abführungsbetrages diesem Umstand, dass der Schuldner – wie vorliegend – überobligatorisch tätig sei, Rechnung getragen werden. Den rechtlichen Anknüpfungspunkt hierfür findet der BGH über § 850i Abs. 1 ZPO über zu belassende pfändungsfreie Beträge. Bei der Festlegung des zu belassenden pfändbaren Betrages gem. § 36 Abs. 1 S. 2 InsO in Verbindung mit § 850i Abs. 1 ZPO hat der BGH den Rechtsgedanken des § 850a Nr. 1 ZPO herangezogen. Danach ist die Hälfte der für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teile des Arbeitseinkommens unpfändbar. Nach der Begründung soll der Schuldner die Vergütung für seine überobligatorische Mehrarbeit nicht insgesamt an die Gläubiger (also den Insolvenzverwalter) weiterreichen müssen, sondern als Anreiz, seine Tätigkeit weiter auszuüben, zum Teil behalten dürfen.   

Julia Frank  

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